Mein Erfahrungsbericht aus der Unvereinbarkeits-Hölle
Agenturen sind nicht für Eltern gemacht. Zumindest nicht für Eltern, die Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Ich muss es wissen, denn ich bin der Sohn eines Agentur-Inhabers. Aus meiner frühen Kindheit habe ich kaum Erinnerungen an meinen Vater. Kein Wunder, denn wenn er nach Hause kam, schlief ich. An den Feiertagen war er oft krank und blieb im Bett. Der Stress…
Das würde bei mir anders laufen. Bestimmt. Ich war sicher. Und habe doch den gleichen Weg eingeschlagen – aber von vorne.
Ich habe mein Kind nicht auf die übliche Weise bekommen, mit…ihr wisst schon wie... Denn ich bin schwul. Mein Sohn kam buchstäblich über Nacht, denn er ist ein Pflegekind. Schwierig für den Arbeitgeber, denn man kann es nicht planen, es gibt keine Schwangerschaft und auch die Fristen zur Ankündigung der Elternzeit sind bei Pflegekindern ausgesetzt. Also habe ich erstmal keine genommen – aus Rücksicht. Ich wollte Freitag ein Baby aufnehmen und Montag wieder zur Arbeit gehen. Zum Glück hat mein Körper Stopp gesagt und ich wurde erstmal krank und konnte mich so wenigstens ein bisschen auf das neue Leben einstellen.
Das neue Leben hieß: Um acht aus dem Haus, um acht zurück. Dazwischen irgendwie Haushalt und eine kurze Nachtruhe, die viermal unterbrochen wurde. HomeOffice gab es damals nicht. Es dauerte nicht lange und mir ging es immer schlechter: Ich war aggressiv, traurig und ständig frustriert. Explodiert ist der Kessel, als ich endlich in Elternzeit gegangen bin, (natürlich nur einen Monat, um meinen Arbeitgeber nicht zu sehr zu belasten.) Ich wollte morgens nicht mehr aufstehen und hatte keine Lust auf nix. Diagnose: Anpassungsstörung. Dann musste mein Mann zurück in den Job und mit Corona waren wir beide plötzlich im HomeOffice – mit einem Einjährigen. Wir wechselten uns irgendwie ab, um die Calls halbwegs ungestört zu haben. Ständig wurde diskutiert, wer gerade mehr Stress hatte und wer das Kind nehmen musste. Irgendwann habe ich zur HR gesagt: So geht es nicht mehr weiter. Und die HR hat mir geholfen: Kurzarbeit, 50 %. Vielen Dank hier nochmal.
Und plötzlich war das Leben wieder schön. Plötzlich hatte ich zum allerersten Mal wirklich Zeit für meinen Sohn. Zeit für endlose Stunden in der Sonne. Als ich nach acht Monaten zurück in die Vollzeit ging, hatte ich meinen großen Prestige-Kunden verloren. Jemand ohne Kinder betreute ihn jetzt. Aber noch mehr hatte sich verändert: Ich war nicht mehr wichtig, ich musste mir plötzlich Aufgaben suchen, statt wie zuvor mit ihnen überschwemmt zu werden. Das wurde noch deutlicher, als ich auf vier Tage reduzierte. Besonders hat mich aber das schlechte Gewissen gequält, denn meine gekürzte Arbeitszeit wurde nicht durch neues Personal aufgefangen, sondern einfach umverteilt. Folge: Sehr gestresste Kollegen. Trotz allem ging das Arbeitsleben jetzt endlich halbwegs gut, denn die Kita war wieder auf und unser Sohn war erstaunlich selten krank. Also wagten mein Mann und ich den nächsten Schritt: beide in Führungspositionen. Was sollte schon schief gehen?
Nach wenigen Monaten kam – wieder über Nacht – ein zweites Kind in unser Leben. Der leibliche Bruder unseres Sohnes. Und plötzlich brach unser irgendwie funktionierendes Konstrukt zusammen. Denn zwei Kinder sind viermal so viel Arbeit wie eines. Und Pflegekinder sind nochmal deutlich aufwendiger als leibliche. Man hat permanent Termine, immer während der Arbeitszeit: Hausbesuche, Gutachter-Besuche, Hilfeplan-Gespräche, Treffen mit allerlei Ärzt:innen, Therapeuth:innen und Richter:innen. Sohn 2 war außerdem häufig krank und steckte uns alle regelmäßig mit so schönen Dingen wie Scharlach und Magen-Darm an. Natürlich bin ich wieder nur einen Monat in Elternzeit gegangen, mein Mann dieses Mal gar nicht. Wir haben Rücksicht genommen, aber dabei unsere Gesundheit vergessen. Mit jedem Monat schwand die Energie. Und als wir 2023 in den Sommerurlaub fuhren, waren wir beide so am Ende, dass ich dort von einem guten Freund gefragt wurde, was eigentlich mit mir los sei. Anfang 2024 habe ich dann alles hingeschmissen. Auslöser: Sonntagabend schrieb die Kita spontan, dass alle Erzieher:innen krank seien und es mindestens eine Woche keinerlei Betreuung geben würde. Dann meldete sich die Babysitterin krank. Und ich sagte mir selbst: Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben.
Seitdem bin ich Freelancer – sehr viel entspannter und glücklicher. Und meine Familie ist es auch. Manchmal gibt es eben doch ein Happy End.